Transit: Heimat, nirgendwo.

Ein wohliges Gefühl von Zuhause in vollkommener und verstörender Fremde, ein befreiendes Aufzeigen von Möglichkeiten durch ein schmerzhaftes In-Frage-Stellen aller bisher angenommenen: Selten war ich so glücklich wie während meiner Zeit in Israel, und nie war mir die Widersprüchlichkeit dieses Gefühls so bewusst. Mit dem Abschied im Juli begann ein Transit, ein seit drei Monaten anhaltendes Nicht-Loslassen-Können, Nirgends-Ankommen-Wollen, Verleugnen von Zeit, Raum, und den Fesseln, die an beiden hängen.

 

 

Der Besuch kam an und wir zogen los zu einer letzten großen Reise durchs Land, von der Wüste Negev im Süden am Toten Meer und dem See Genezareth vorbei bis hoch in die Golanhöhen im Norden, und schließlich durch die Kreuzfahrerstädte Haifa und Akko zurück nach Tel Aviv. Die durchgelaufenen Sandalen schmiss ich am Flughafen in einen Mülleimer, das beklemmende Gefühl auf dem Weg zum Flieger wurde ich nirgends los.

 

 

Als ich zwei Tage nach der Landung nach Österreich aufbrach, spürte ich den Rucksack auf meinen Schultern längst nicht mehr. Ein paar Stunden Autofahrt in der Harmonie von vertrauter Nähe und verständnisvoller Distanz, und dann, plötzlich: Die Berge. Zwischen surreal schönem Alpenkitsch vor unseren Augen und dem wegbrechenden Geröll unter unseren Füßen von Hütte zu Hütte, getrieben von der Sehnsucht, nirgends ankommen zu müssen, überall fremd bleiben zu dürfen.

Dann die vorläufige Rückkehr in den Hafen der letzten vier Jahre; zu den Menschen, die ihn dazu gemacht hatten. Die lange vermissten Gesichter, die lauen Sommerabende auf dem Balkon, die Einfachheit eines Alltags aus geteilten Regelmäßigkeiten. Ein Abschied, dann noch einer, eine Feier zum Lebewohl. Das eine Glas Rotwein zu viel, die durchtanzte Nacht und das Schwimmen in der vollkommenen Schwärze des liebevollen Sees. Der Tag danach, an dem Morgendämmerung und Mittagssonne nahtlos ineinander übergehen und die Stunden bis zum Abend sanft vergehen, bei leisen, unaufgeregten Gesprächen über dem erkaltenden Tee und der aufgeschlagenen Zeitung auf dem Wohnzimmertisch.

 

 

Die diesigen Morgennebelschwaden über dem Bodensee kündigten gerade den beginnenden Herbst an, da kam der Besuch aus der ehemaligen und immer-wieder Heimat Berlin. Mit Wanderschuhen an den Füßen verließen wir den See, hoben ab, landeten in Frankreich. Und plötzlich waren sie wieder da, die Erinnerungen an das Leben im Südwesten des Landes vor einem Jahr, überrumpelten mich in ihrer Heftigkeit und zogen mit jedem Straßenschild eines vertrauten Ortsnamens auf der Autobahn Richtung Bayonne stärker an mir. Und meine Seele strampelte, überglücklich überfordert.

Bis uns die Pyrenäen, die nichts fragten und nichts wissen wollten, mit ihrer rauen Großzügigkeit empfingen. Mit immer schwerer werdenden Füßen und leichter werdendem Kopf passierten wir Gebirgskämme und Bergdörfer, tauchten im Morgengrauen aus den Wolken auf und rutschten mit der beginnenden Abenddämmerung berauscht und besinnungslos die Abhänge hinunter. Ignorierten den Muskelkater in den Schenkeln und die Blasen an den Fersen. Lernten, die zärtliche Gleichgültigkeit der Felsen zu lieben.3#

Als draußen der Sturm zu toben begann, verkrochen wir uns in der Hotelzimmerhöhle; in der Ferne die Berge, hell erleuchtet und tief erschüttert. Am nächsten Tag der Duft der nassen Wiesen beim Aufbruch, das satte Blau des in der Ferne autauchenden Ozeans, und dann, endlich: Die letzten Meter zum Meer rennen, den Boden unter den Füßen verlieren, von rasenden Wellen getragen werden. Die Wandersachen wegpacken, Muscheln essen, einmal, zweimal, dreimal. Im tosenden Wind in St Jean de Luz durch den Himmel wirbeln, in einer schwankenden Baumkrone sitzen, den wütenden Wellen beim Stürmen gegen die Felsen zuhören. Im Morgengrauen in Biarritz ein letztes Mal im Salzwasser untertauchen und den Sand zwischen den Zehen spüren.

 

 

Mit noch salzigen Haaren und kribbeligen Zehen: Der Aufbruch ins Château d’Orion, meinen Arbeitsplatz im Herbst 2014. Auf der Fahrt das Gefühl, nach Hause zu kommen, überwältigend und unaushaltbar. Mein Redefluss, der nicht stoppt, kläglich versagend in dem Versuch, der Emotionsflut einen Weg zu bahnen. Der in den Bergen vertraut gewordene, der mich in den Arm nimmt und festhält, schmunzelt: Fühlt sich an wie bei Schwiegereltern vorgestellt werden, und sich die Zigarette bei der Ankunft verkneift. Das alte Gemäuer im strömenden Regen, die geliebten Gerüche in der Schlossküche, das vertraute Knarzen der Holztreppe, das leise Tapsen des Schlosshundes Teo und die Verschmustheit der beiden Kater, der Geschmack gefüllter Kürbisse aus dem Châteaugarten, die wachen Köpfe und offenen Herzen bis spät in die Nacht. Das unbändige Glück des Wiedersehens.

Der viel zu frühe Abschied vom Gefährten, von den Schlossbewohnern, von Frankreich. Ein ehrliches Lächeln, als ich mich im Stau auf dem Weg zum Flughafen damit abfinde: Wenn ich den Flieger verpasse, dann ist es halt ein Zeichen. Und dann doch: Die Heimreise, was für ein irreführendes Wort.

 

 

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