Tomaten aus Gaza

Als vor wenigen Wochen einer der Händler auf dem Jerusalemer Shuk „Tomaten, frisch aus Gaza!“ anbot, zweifelte ich im erste Moment an meinen Hebräischkenntnissen: Tomaten, aus Gaza? Der Verkäufer nickte und strahlte mich an. Verwundert drehte ich mich zu Yosi, mit dem ich über den Markt lief: Gibt es in Gaza nicht natürliche sowie politisch provozierte Probleme mit der Wasserversorgung, von Israel erlassene Importverbote? Er grinste nur. „Worüber du dir alles Gedanken machst. Israel hat die Einfuhr vor ein paar Wochen wieder erlaubt, schlag zu!“. Gerade mal acht Shekel kostete das Kilo, weniger als zwei Euro.

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In Deutschland ist nachhaltiger Konsum irgendwas zwischen regional, saisonal und bio. Samstag ist Markttag, und neben Obst, Gemüse und Käse liegt beim Nachhausegehen ein ansatzweise gutes Gewissen in meinem Einkaufskorb, bestehend aus einer zugegebenermaßen recht schwammig definierten Mischung aus „Gut für Tiere und Umwelt“ und „Gut für meinen Körper“.

In Israel ist noch eine dritte Kategorie dazugekommen, die sich mit den anderen beiden nicht immer vereinen lässt: „Keine der Konfliktparteien stärkend“. Doch für sie gibt es keine Labels oder Zertifikate. An den Tomaten aus Gaza hängt kein Etikett, ob die Hamas nicht über Steuern am Gemüseverkauf mitverdient; und um Siedlerweine zu erkennen, muss man sich in Israel geografisch schon ein bisschen auskennen.

Israels Supermärkte sind deshalb ein Hindernisparcours, wenn man daran glaubt, dass man mit seinen Einkäufen Einfluss auf ökonomische und politische Entscheidungen hat. Mehr als ein Viertel des Landes sind Besatzungszone – mit Besatzern, die sich für die Infrastruktur nicht zuständig fühlen und den Palästinensern in Gaza die Ausfuhr von Waren weitestgehend verbieten, die von israelischen Siedlern angebauten Produkte und abgebauten Rohstoffe der Westbank aber weltweit verkaufen. Und einerseits setzen gerade die Palästinenser große Hoffnungen in den Wiederaufbau der Landwirtschaft als Wirtschaftszweig, um wieder unabhängig von internationalen Stiftungen und der Hamas bestehen zu können, andererseits ist die wasserbedürftige Agrikultur in Anbetracht der schwindenden Wasserressourcen der Region vollkommener Wahnsinn. Die Tomaten aus Gaza sind also vielleicht politisch nachhaltig, weil sie in einem Besatzungsgebiet mit mindestens 40% Arbeitslosigkeit wieder Jobalternativen neben Tunnelbau und der Mitarbeit in Terrororganisationen bieten. Gut für die Umwelt sind sie aber nicht.

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Auch Erdbeeren können momentan wieder aus Gaza exportiert werden.

 

„Nachhaltig“, das ist in Israel ein schwieriges Wort – weil sowieso niemand weiß, was in zehn Jahren sein wird. Und seitdem ich hier lebe, sind mir sogar die positiven Visionen dafür, was hier in zehn Jahren sein könnte, abhandengekommen. Ich kenne Palästinenser, die die Zweistaatenlösung fürchten, und Israelis, die das Land verlassen haben, weil sie nicht mehr an die Möglichkeit von Frieden glauben. Ich habe mit einem orthodoxen Aussteiger gesprochen, der sagt, solange es Religiosität in der Region gibt, wird es Terror geben – egal, ob mit oder ohne Ländergrenzen. Und daneben gibt es das ganze Spektrum von Forderungen eines rein jüdischen Staates über Plädoyers für die Zweistaatenlösung bis hin zur Kritik an dem Bestehen Israels generell. Für ökologische Nachhaltigkeit – und die meinen wir meistens, wenn wir den Begriff verwenden – fehlt es in Israel an politischer Stabilität. Und für politische Nachhaltigkeit wiederum ist der Konflikt oft viel zu komplex um zu wissen, was überhaupt politisch nachhaltig wäre.

Ich habe die Tomaten mitgenommen, einfach, weil ich Tomaten brauchte. Im Einkaufskorb nahm ich kein gutes oder schlechtes Gewissen mit nach Hause, sondern neue Fragen und ein bisschen mehr Bewusstsein für die Ambivalenz dieses Landes. Denn als ich meinen Einkauf gerade bezahlt hatte, erklärte mir Yosi, warum Israel die Einfuhr palästinensischen Gemüses momentan zum ersten Mal seit sieben Jahren überhaupt wieder erlaubt hat: Alle sieben Jahre bauen extrem gläubige Juden kein Gemüse an, weil die Natur in dieser Zeit nach einem heiligen Gesetz zur Ruhe kommen soll. Von Juden angebautes Gemüse gilt während der sogenannten „Shmita“ als nicht koscher, und darf nur mit Ausnahmeerlaubnis eines Rabbiners verkauft werden. Die palästinensischen Tomaten verdanke ich also einem jüdischen Gesetz und dem Umstand, dass auch religiöse Juden während der Shmita Gemüse essen wollen. Im Notfall eben auch welches aus Gaza.

 

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