Die erste große Sinnkrise meines Lebens hatte ich im Alter von vier Jahren in den USA. Wir besuchten dort meine Tante, reisten durchs Land und ernährten uns von labbrigen Brötchen und viel zu süßer Marmelade. Als ob das nicht gereicht hätte, sprachen auch noch alle Menschen eine komische Sprache und verstanden nicht, was ich ihnen in meinem überschwänglichen Mitteilungsbedürfnis erzählte. Ziemlich trotzig und unter Tränen, so erzählen es meine Eltern, habe ich damals beschlossen, alle Sprachen der Welt zu lernen.
Inzwischen bin ich skeptisch geworden, ob mir das gelingen wird, aber ich kann es immer noch nicht leiden, nichts zu verstehen und nicht verstanden zu werden. Meine ersten vier Wochen in Israel habe ich deshalb in einem Ulpan, einem der berühmt-berüchtigten Sprachkurse der Hebrew University of Jerusalem, Hebräisch gelernt. Als der Staat Israel 1948 gegründet wurde und man sich nicht nur auf Hebräisch als Amtssprache, sondern auch als Unterrichtssprache der Universität einigte, war klar, dass viele der neu Hingezogenenen das erst lernen würden müssen. So entstanden die Ulpanim, eine Mischung aus Intensiv-Sprachkurs und Einführung in die Kultur des Landes. Das Prinzip? Vollkommene Überforderung! Von der ersten Sekunde an sprachen Eilat und Michal, unsere Lehrerinnen, nur Hebräisch mit uns. Und es funktionierte! Nach vier Wochen kann ich auf dem Markt auf hebräisch einkaufen, meinem Gegenüber erklären, was ich in Jerusalem mache und den Busfahrer fragen, ob er auch wirklich da hinfährt, wo ich hinwill. Und nicht nur das: Weil einmal in der Woche eine Lehrerin aus dem Konservatorium jüdische Lieder mit uns einübte, und Eilat als ehemalige Reiseführerin uns immer wieder etwas aus der Geschichte Israels und Jerusalems erzählte, habe ich auch viel über das Land und seine Kultur gelernt.
Meine Sprachkurs-Klasse war dabei wahrscheinlich die best-gelaunteste Unterrichtsgruppe, in der ich je gesessen habe. Fast die Hälfte von uns waren Amerikaner und viele davon Camp Counselors, eine Art Betreuer und Animateur, in jüdischen Sommercamps. Neben verdammt guter Laune auch morgens um neun scheint eine musikalische Grundausbildung dabei zur Berufsvoraussetzung zu gehören. Und so packte immer wieder spontan irgendwer ein Instrument aus und wir machten Musik und versuchten, hebräische Liedtexte zu übersetzen. Am letzten Tag sangen wir dann nochmal alle zusammen »Salaam«, ein Lied der jüdisch-muslimischen Band »Sheva« (das heißt »Sieben«). „Salaam“ ist arabisch und bedeutet »Frieden«. In dem Lied geht es abwechselnd auf Hebräisch und Arabisch um die Hoffnung, dass ein friedliches Zusammenleben für alle möglich sein kann.