Eine Odyssee zum Toten Meer

Nachdem ich mich bisher vor allem in Jerusalem und Tel Aviv aufgehalten habe, führte mich meine erste kleine Reise in Israel am vergangenen Wochenende auf einem wahren Hindernisparcours durchs halbe Land zum Toten Meer. Das »Yam Hamelach«, oder »Meer des Salzes«, wäre nicht nur fast eines der sieben Weltwunder geworden, es ist auch die tiefste Fläche der Erde und einer von wenigen Seen weltweit, in denen der Salzgehalt im Wasser so hoch ist, dass man sich dort auf der Wasseroberfläche einfach treiben lassen kann.

Am Sonntag morgen um 8 Uhr stand ich also mit drei Kommilitoninnen in der King David Street, um dort unseren Leihwagen abzuholen. Kurz darauf saßen wir in einem knallblauen Kleinwagen und machten uns auf den Weg. Nach einem kurzen Halt in Qumran, dem Fundort der  »Schriftrollen des Toten Meeres«, unter denen sich auch die bislang ältesten bekannten Bibelhandschriften befinden, war unser nächstes Ziel das Naturschutzgebiet En Gedi mit seinen Oasen und Wadis, den trockenen Flusstälern in der judäischen Wüste. Schon auf dem Weg dorthin bekamen wir eine Ahnung davon, warum die Gegend so ein Touristenmagnet ist: Die Aussicht auf das Tote Meer zu unserer Linken und die judäische Wüste zu unserer Rechten war schon jetzt atemberaubend – und durch die offenen Fenster strömte klarste Luft ins Wageninnere.

Als einige Meter vor uns plötzlich eine Straßensperre sichtbar wurde, dachten wir uns zunächst nichts weiter dabei. Wer in Israel lebt, der gewöhnt sich an permanente Passkontrollen, Taschendurchsuchungen und Gesinnungsüberprüfungen. Als die Autos vor uns allerdings alle wendeten, wurde uns klar, dass da irgendetwas nicht stimmte. Drei Minuten hebräische Erläuterungen von einem Polizisten später wussten wir auch nicht wirklich mehr – nur, dass wir da nicht weiterkamen. Die einzige Alternative? Zurück nach Jerusalem, und von dort aus Richtung Westen, um schließlich kurz vor Tel Aviv auf die Autobahn in die Bedouinenstadt Be’er Sheva in der Wüste Negev zu gelangen. Der Umweg würde uns fast durchs ganze Land führen, das im Osten vom Toten Meer und im Westen von Tel Aviv begrenzt wird.

Mit arabischer Radiomusik, aufgeregtem Geschnatter und guter Laune hatte unser Roadtrip begonnen, jetzt aber machte sich im Auto Stille und gedrückte Stimmung breit. Fuhren wir anfangs noch durch grüne Täler und große Städte, wurde die Region bei der Fahrt in Richtung Be’er Sheva deutlich karger und trockener und der Straßenrand war plötzlich immer wieder gesäumt von Ruinen, Zeltlagern und kleinen Häusergruppen aus Wellblechpappe. Kurz vor der Ankunft in der Bedouinenstadt bogen wir dann nach links ab – und jubelten erleichtert, als wir erstmals wieder Straßenschilder in Richtung »Dead Sea« erblickten. Bis wir 40 Minuten später und nur noch eine halbe Stunde von unserer Unterkunft entfernt wieder vor einer Straßensperre standen und wieder an unseren mangelnden Hebräischkenntnissen zu scheitern drohten.

Doch als wir uns schon auf die Rückfahrt nach Jerusalem gefasst machten, legte sich irgendwie ein Schalter in unserem Kopf um. Und plötzlich führten wir eine zwar mehr als brachiale, aber reiserettende Konversation mit dem Beamten, an deren Ende klar war: Bis zum Hotel würden wir es schaffen, die Straße am Toten Meer allerdings war auch im Süden komplett gesperrt und würde es auch am nächsten Morgen noch sein. Ursache waren Springquellen, die durch einen einzigen Tag mit Schneefall in Israel die Straße überflutet hatten. Wie ein Mahnmal steckte kurz nach der Absperrung ein Wagen im Morast, den die Wassermassen zerstört hatten.

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Irgendwo zwischen resigniert und dem Wunsch, das Beste draus zu machen, drehten wir das Radio wieder an, packten Pitabrot und Hummus aus und folgten der nächsten Umleitung. Und staunten nicht schlecht, als wir uns plötzlich in einer mondartigen Landschaft mit tiefen Kratern, felsigen Hügeln und »Beware of Camels«-Schildern am Straßenrand wiederfanden. Bisher hatten wir bis auf Qumran kein einziges unserer Ziele für den Tag gesehen, doch die Wüste entschädigte uns mit einer wahnsinnig schönen letzten Stunde Autofahrt.

Nach sechs Stunden kamen wir dann endlich in unserer Unterkunft im Moshav Ne’ot HaKikar an. Direkt an der Grenze zu Jordanien erwarteten uns gemütliche kleine Bungalows und Zelte in Shkedi’s Camplodge. Viel zu früh verließen wir das Lagerfeuer und fielen erschöpft in die bequemen Betten.

Nur wenige Stunden später riss uns unsanft der Wecker aus dem Schlaf: Um es trotz Straßensperren pünktlich zum Sonnenaufgang auf Herodes’ Bergfestung Masada zu schaffen, mussten wir schon um 3 Uhr aufstehen. Als wir um halb sechs am Fuß des Wanderswegs ankamen und den Aufstieg begannen, fing es gerade an, langsam hell zu werden. Und während wir den verschlungenen Pfad nach oben wanderten, stieg auch die Sonne über dem Toten Meer auf und belohnte unser frühes Aufstehen mit einem atemberaubenden Ausblick.

From Melissa Day 4-5 048

Am Gipfel angekommen stiegen wir vier Stunden durch alte Festungsruinen und die Überbleibsel von einer Byzantinerkirche, einer Synagoge, verschiedenen Badehäusern und einer riesigen Zisterne. Neben einer architektonischen Meisterleistung war die Festung Masada auch Ort einiger bedeutender Ereignisse in der Geschichte des Landes: Unter anderem sollen sich hier während einer Belagerung durch die römische Armee im 1. Jahrhundert fast 1000 Juden und Jüdinnen selbst getötet haben, um einer Versklavung zu entgehen. Inzwischen werden in der Synagoge regelmäßig Bar Mizwas gefeiert und die Offiziere der Israelischen Luftwaffe sollen hier oben schon beim Yoga gesichtet worden sein.

Am beeindruckensten aber war die Aussicht, die in jede Himmelsrichtung eine andere Landschaft offenbarte: Von Totem Meer im Osten über Straßenschluchten und stillgelegte Flussläufe bis hin zur judäischen Wüste im Westen.

Beim Abstieg dann begegneten uns zwei junge Deutsche, die mit dem Bus aus Jerusalem gekommen waren. Damit war klar: Die Straße ist wieder befahrbar! Zwar waren noch überall die Verwüstungen durch die Springquellen in Form von Dreck und Wasser auf der Fahrbahn sichtbar, dennoch kamen wir ohne weitere Verzögerungen zunächst an einen Strand ans Tote Meer und schließlich zurück nach Jerusalem.

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