Hingabe0815

Sommer im Zenit. Schnitzeljagd. Wald, Straße, Wald, Spielplatz, dann, mit geschlossenen Lidern, fast Tempelhofweite. Feierabendweichkäse, -brot, -ingwerlimo. Hauptsache Oliven. Viel zu lange nicht.

Altbautürklinke 1, 2 und 3. Zwei Zimmer, Küche, Bad und kein kleiner Balkon. Basilikum am Fenster und PostIts an der Wand. Büchertürme unter Flügelfenstern. Faserland, Jahre zu spät, genau richtig.

Stadtflanieren, folgen Sie mir unauffällig. Lesen lernen; sehen lernen durch die Linse. Gießerbrücke, Hausbesetzerpoesie, hohe Hallen in Rostrot. Spinnerei bis die Füße nicht mehr tragen und der Kopf sich verliert. Heimkehren, zitternd.

 

Winterdämmerung. Rollkofferrollen über steinigen Schneematsch, auch schon egal. Zerschlissener Cord, weil die Wärme von woanders kommt, und Klaviermusik, Klaviermusik überall mithin.

Ein Bilderbuchabend mit vermissten Körpern, die brennende Kerze nur ein wenig zu nah an der Wand. Zwei, verschlungen, Köpfe an Knien und Herzen in Händen, Katzenkindblindheit im Wohligsein unter rotbraunem Stoff. Ein Dritter, mit Schemel, die schwarzen Füße drauf zuckend statt ruhend. Von rauen Lippen spielt Thomas Brasch Spielverderberspiele* mit den immer Zweifelnden, bis keine*r mehr gewinnt.

Apfelpfannkuchenluft nach traumreich-schlafloser Nacht. Grauer Teewetterregen und Zeitung im Bett. Kurz noch die Weite im Blick und dann doch schon dieses scheiß Ziehen in der sich verengenden Brust auf dem Weg zum Bahnhof; dieses scheiß Fernbeziehungsziehen, das in der Distanz zum Fernbeziehen wird, zum alles auf jemanden beziehen, der gerade nicht da ist.

 

Herbstanfang. Knapp verpasst. Drachenhimmelgemälde. Und wieder vorbei. Ein paar Zentimeter zu kurz, Schritte zu wenig, Sekunden zu langsam. Nähe üben trotz Horizont.

Federweißer, Holzofenwärme und kein Bodensee. Ankommen zwischen Limettenaufguss und eingeschworener Stille, vertrautem Blick; zwischen Vergangenheitsstapeln und Pilzrisotto. Für zwei Personen eine mittlere Tasse Reis, Gemüsebrühe in doppelter Menge, und immer erst kurz vorm Anbrennen, auf den letzten Metern lieber zu wenig, auf die Konsistenz achten.

Vom Ende der Einsamkeit. Klapperndes Geschirr, spinatdunkelgrüne Wohligkeit und der Geruch von Verveinetee zwischen den Seiten. Gründerzeit. Fremd gewordener Mut, sanfte Entschlossenheit im Blick auf das, was kommt. Wer kommt. Behutsames Fallen in die andere Welt, die andere Zeit, die nur kurz angedauert hat, die noch nicht wieder beginnt. Aufbrechen, den vermissten Atem ein paar Sekunden zu lang im Nacken.

Joan Mitchell, Untitled im Spiegel (2017). Früh schlafen und trotzdem Morgengrauen. Hoffen, dass die Realität gnädiger war als die Phantasie. Wortlos die Zahnbürste ins Deckelfach. Rucksackschultern. Gewicht verlagern. Überschreiten der Grenze, des Abgrunds, dann Stufe 1, 2, Automatiktür, blau-blaue Sitzmuster. Ans Rückengestänge gelehnt der Erschöpfung nachgeben.

 

Wintergräue, die zweite. Dielenboden, ein andrer. Windspiel mit tausend offenen Türen. Lichtflecken, Holztreppenjagd, virtuelle Wirs kurz unterm Himmel und dann kein Entkommen mehr. Vom Sturm nicht losgelassen werden. Stranden. Nicht loslassen können trotz allem Wollen. Zuckende Finger beim Einschlafen und Champagner nur in der Ferne. Wie Jahre später: Der Honigmorgen, der folgt, mit weißem Fleisch, mühsam an der Eierschale klammernd. Kinderaugen in der Bahn, fast schon verschwörerisch, und dann, genau im richtigen Moment: ein Lächeln, die Sonne, und draußen ist alles da, auch wenn es niemand bezahlt hat, und der Himmel ist so hoch wie ich ihn mit vier gemalt hab.

 

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*Spielanleitung:
1 Halte ich das für Liebe, was du mir antust, oder
2 Hältst du das für Liebe, was ich mir zurechtdichte, oder
3 Langweile ich dich noch immer nicht mit meiner Hurerei, oder
4 Hältst du mich aus, oder ich dich, oder wir uns, oder
5 Verrate ich dich an jedem zweiten Tag oder an jedem dritten, oder
6 Benutzt du mich als Schlafmittel (coito ergo bumm bumm), oder
7 Bin ich eigentlich zu faul für eine vernünftige Arbeit oder zu feige für die Einsamkeit, oder
8 Beneidest du mich um meine Blödheit, die ich Naivität nenne, oder
9 Glaube ich, daß du das für Liebe hältst und halte es selbst für Liebe oder umgekehrt oder wie, oder
10 Ist das Ökonomie, das heißt, einander und sich selbst vor dem Staat in Schutz nehmen in seiner kleinsten Zelle, oder
11 Ist das der Fortpflanzungstrieb einer aussterbenden Spezies, oder
12 Ist das die Furcht vor dem Riß in der Zeit, der ausgefüllt sein muß, oder
13 Geht mich dieser Krieg der Geschlechter eigentlich überhaupt noch etwas an, wenn ich nur siegen aber niemals unterliegen kann, oder
14 Weißt du noch immer nicht, daß ich nur einen liebe, der mich verachtet und den verachte, der mich ernster nimmt, als ich mich selbst, oder
15 Hast du noch immer nicht davon genug, daß ich daran verzweifel, dich anders vorzufinden, als ich dich auf die schmierige Leinwand meiner Fantasie hingekritzelt habe, oder
16 Wären du und ich oder wir woanders anders, oder
17 Wollen wir einsam sein und müssen zweisam sein, oder dürfen wir einsam sein und müssen zweisam sein, oder soll uns das heilsam sein, oder
18 Passen zwei ineinander oder füreinander oder aufeinander, oder wärs besser einander zu verpassen oder eins zu verpassen (und zwar kräftig), oder
19 Bin ich wie die Mond und du wie der Sonne und lernen nicht daraus, daß die einander nie begegnen, oder
20 Was geht dich oder mich dieses Scheißspiel von Mann Frau eigentlich noch an, oder
21 Ist das die Furcht, die sich MENSCH nennt (worauf sich nichts reimt), oder
22 Sollten wir ein Kind herstellen, das drei Eigenschaften von dir (welche) und drei Eigenschaften von mir (welche) in sich vereinen muß, oder
23 Sollten du und ich oder du oder ich eine andere Arbeit tun, oder
24 Sollte ich mit einer anderen Person ins Bett gehen oder das unterlassen, oder
25 Will ich, daß du glaubst, ich begehre oder entbehre eine andere Person, oder
26 Kannst du mir ein Glück ersetzen, oder ich dir, das uns die Eisenwelt so grausam vorenthält, oder
27 Würdest du am Tag meiner Beerdigung ohne Tränen der Rührung den Rührfilm Romeo und Julia anstehen können oder lieber die Affenpaare ansehen wollen im Zoo, oder
28 Wollen wir Hänsel und Gretel sein und uns eine Hexe finden auf unserer Suche nach dem dritten Geschlecht, oder
29 Würdest du im Falle einer strafbaren Handlung meinerseits, auf die Gefahr eines längeren Gefängnisaufenthaltes deinerseits, für mich eine eidliche Falschaussage auf dich nehmen, oder
30 Würdest du mich oder ich dich in einem naturwissenschaftlichen Film von einem Raub- oder Plüschtier darstellen lassen, oder
31 Kannst du, wenn ich dich jetzt frage, ob du mich liebst, mich liebevoll ansehen, JA sagen und NEIN meinen, oder
32 Kannst du, wenn ich dich jetzt frage, ob du mich liebst, mich haßerfüllt ansehen, NEIN sagen und JA meinen, oder

 

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