What’s a civilized separation anyway?

Erst ist da Noa, die Israelin aus Tel Aviv in blau-weißem Kleid. Dann ist da ihr Exmann Amir, der Palästinenser aus dem israelischen Haifa, in schwarz-weiß-rot-grünem Anzug. Plötzlich sind da auch Laila aus dem Flüchtlingslager Jenin in der Westbank und Karim, den die Mauern um sein palästinensisches Dorf zum Parkour-Läufer haben werden lassen, und Hamoudi, der Syrer mit dem Falafel-Bauchladen, ebenfalls in den jeweiligen Landesfarben gekleidet. Und dann ist da noch Stefan, der Sprachlehrer im dudengelben T-Shirt, passend zur gleichfarbigen Aufstiegstreppe ins Nichts auf der er sie alle versammelt hat in seinem Deutschkurs in Neukölln.

Am Maxim-Gorki-Theater hat die israelische Regisseurin Yael Ronen „The Situation”, wie Israelis und Araber die verfahrene Lage im nahen Osten nennen, in einen Deutschkurs in Berlin verlegt. Das macht möglich, den Konflikt jenseits des Krisengebiets mit tiefschwarzem Humor in aller Schärfe zu verhandeln. Und entlarvt gleichzeitig, wie die einfachsten Fragen in der Fremde plötzlich zu Fettnäpfchen und Fallschlingen werden, existenziell bis hin zu überlebenswichtig im Minenfeld eines Streits, der viel mit Interpretationshoheiten und Definitionsfragen zu tun hat.

„Sag‘s ihm nicht – sein Kopf explodiert“

Zwischen W-Fragen und Grammatikfeinheiten entfaltet sich in „The Situation“ die ganze Komplexität des Nahostkonflikts. Schon das scheinbar unverfängliche „Wer bist du?“ des Deutschlehrers kommentiert die Israelin Noa mit Blick auf ihren Exmann Amir nur knapp mit „Sag’s ihm nicht – sein Kopf explodiert!“. Und dann fängt er natürlich doch an zu erzählen, der Palästinenser mit dem israelischen Pass, für den die Antwort auf die Frage nach seiner Nationalität schon ein politisches Statement ist, und dessen Sohn – in Israel: praktisch, in Neukölln: peinlich – hebräisch spricht und es nicht wirklich vom arabischen unterscheiden kann. Ein „Was machst du hier?“ eröffnet vor allem Perspektivlosigkeiten, denn ja, was macht man irgendwo, wenn man vor allem wegwollte und nie wirklich hin, und wenn man dort, wo man ankommt, beruflich kaum Möglichkeiten hat? Und dann – wie Laila – im besten Fall als lebendes Ausstellungsstück in einem „Refugee Museum“ endet? Und ein scheinbar simples „Wo kommst du her?“ ist Ausgangspunkt für die Odysseen der Heimatlosen auf Mikro- und Makroebene: Da ist die Palästinenserin, die zwischen der Geburt auf palästinensischem Boden, über die Jugend im Flüchtlingslager und die Jahre im Libanon, bis zur erneuten Flucht – diesmal nach Deutschland – gar nicht weiß, worauf sich die Frage überhaupt bezieht. Und die jetzt, wenn sie schon keinen Staat haben darf, doch wenigstens gerne ein Zimmer hätte. Da ist die Israelin mit Migrationshintergrund, die den politischen Konflikt in Tel Aviv nicht mehr aushielt als er mit ihrer Liebe zu dem Palästinenser ein privater wurde und mit beiden floh. Und zwar ausgerechnet in das Land, aus dem die Juden einst mit allen Mitteln vertrieben wurden. Und dann ist da plötzlich auch der scheinbare „Bio-Deutsche“ Stefan, der sich als der gebürtige Kasache Sergej entpuppt, der seinen Namen etwas eingedeutscht hat, der Einfachheit halber. Und der jetzt als „Meisterwerk der Integration“ auch noch als Deutschlehrer arbeitet.

Ein palästinensisches Dorf namens Neukölln

Und kaum sind die Schwierigkeiten der W-Fragen gemeistert – eigentlich eher: übersprungen – geht es weiter mit Personalpronomen in frontenbildenden Wir-Ihr-Konstruktionen und sehnsüchtigen, politisch aufgeladenen Wenn-Dann-Sätzen. „Politics?“, faucht der Palästinenser Karim seinen Deutschlehrer da zwischenzeitlich an, „Man, it’s my life!“. Und wenn wir schon dabei sind, Politik und Privates zu vermischen: Amir, ist deine Ehe jetzt eigentlich daran gescheitert, dass das mit der jüdischen Israelin und dem palästinensischen Israeli sowieso nie gut gehen konnte? Oder daran, dass ihr in Berlin gerade eben nicht mehr ihr beiden gegen den Rest der Gesellschaft wart? Oder doch, wie deine Frau behauptet, nur daran, dass das mit „Mann und Frau nicht funktionieren kann“? Schulterzucken, weiter geht’s. Und zwar mit Sätzen in der Vergangenheit, die so vorwurfsvolle Geschichten erzählen, dass man ganz schnell zur Konjugation der Verben in der Futur-Form springt, die wiederum die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft so naiv erscheinen lassen, dass einem schließlich nur die Rückkehr zur Gegenwart bleibt, zur friedlichen (?) Koexistenz in diesem „palästinensischen Dorf namens Neukölln“.

Authentische Bestandsaufnahme, brillante Komödie

Dabei ist es Yael Ronens kluger Humor, der den Zuschauern in einem Rundumschlag von Klischees, Grenzüberschreitungen und exakt gesetzten Pointen vor Lachen Tränen in die Augen treibt statt sie an „The Situation“ verzweifeln zu lassen. Dass das gelingt, liegt nicht zuletzt auch daran, dass sie am Maxim Gorki Theater in Berlin mit SchauspielerInnen unterschiedlichster Nationalitäten arbeitet, die aus ihren eigenen Biographien schöpfen können, und dass Ronen das zu nutzen weiß: Im Sprachmischmasch aus Hebräisch, Arabisch, Englisch und Deutsch (übertitelt in Englisch und Deutsch) vermischen sich die Lebensverläufe der Darsteller mit denen ihrer Figuren. Das verleiht den Sprechenden eine Authentizität, die den oft tiefschwarzen Humor legitimiert, die aber im zunehmenden Verlauf auch dafür sorgt, dass den Zuschauern das Lachen immer wieder im Halse stecken bleibt.“What’s a civilized separation anyway?“, fragt Noa gegen Ende ins Publikum, verschmitzt lächelnd, aber auch resigniert. In solchen Balanceakten zwischen Witz und Verzweiflung liegt die Stärke der Inszenierung, die trotz aller dramaturgisch notwendigen Zuspitzungen vor allem die Ambivalenzen des Nahostkonflikts sichtbar macht und lässt. Da lässt sich auch der Pathos verzeihen, der in der letzten Lektion – den Konjunktiv-Konjugationen – schließlich doch nochmal aufkeimt.

 

*Nachtrag (25.08.2016): Im August 2016 wurde „The Situation“ im Rahmen der jährlichen Kritikerumfrage der Zeitschrift Theater Heute zum „Stück des Jahres“ gewählt.

 

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